Rennrutscher wollen ihr Hobby zum Breitensport machen

Hamburg - Wer im Freibad auf der Wasserrutsche gern besonders rasante Rutschpartien hinlegt und bei anderen Badegästen dabei durch Drängeln negativ auffällt, in dem steckt vielleicht ein ungeahntes sportliches Talent. Rennrutschen heißt die aufstrebende Sportart, die Rolf Allerdißen und seine Mitstreiter im jüngst gegründeten Deutschen Rennrutsch-Verband (DRV) hierzulande populär machen wollen. Wenn es nach ihnen geht, soll ihr Hobby zum Breitensport werden, langfristig sogar zur olympischen Disziplin. Immerhin: Die Mitgliederzahl des Verbands hat sich nach der Deutschen Meisterschaft im März verdoppelt - auf ganze 14 Mitglieder. Langfristig angestrebt sind 1000.

Schon 2008 will der DRV eine Europameisterschaft im Rennrutschen ausrichten, "weil hier die Szene am größten ist", wie Allerdißen erzählt. Dennoch ist der Sport in Deutschland noch wenig bekannt, das weiß auch der 40-jährige Ostwestfale, der rutschend schon geschätzte 15 Kilometer zurückgelegt hat.

Noch ist er daher auf Anleihen aus anderen Sportarten wie der Formel 1 oder dem Rennrodeln angewiesen, wenn er die Werbetrommel rührt: So sei die Rutschstrecke in Osnabrück das "Röhren-Monaco, weil man da so ein hohes Geschwindigkeitsgefühl hat", die Rutsche in Scharbeutz gelte als "die Nordschleife unter den Röhren", wegen ihrer Länge und interessanten Streckenführung "mit Sprunghügel". Und der fünffache deutsche Meister Jens Scherer aus Liptingen im Schwarzwald ist für den DRV-Vorsitzenden schlicht "das Nonplusultra, der Schorsch Hackl der Rennrutscher".

Um sich an die Spitze zu rutschen, schwört Scherer auf "die optimale Kurvenlage und eine ausgefeilte Technik". Es gelte, "die Körperspannung zu halten und möglichst wenig Reibungsverlust durch Kontakt mit der Rutsche herzustellen", ergänzt Allerdißen. Auch Turnkünste kommen den Aktiven dieser Sportart demnach zugute: Die Stange zum Festhalten am oberen Ende der Rutsche wird zur "Einschwunghilfe", die zusätzliche Geschwindigkeit bringt. Wer dagegen auf andere, unlautere Art ein paar Hundertstel herausholen will, handelt wider die "Deutsche Rennrutsch-Ordnung", von Eingeweihten kurz DRRO genannt: Das Eincremen oder Einfetten von Körperteilen zum Beispiel ist ihr zufolge streng verboten und führt beim DRV zur Disqualifikation.

Das "Anbringen von Zusatzgewichten" ist gleichermaßen verpönt. Auf den Rippen aber gelten ein paar zusätzliche Pfunde als Vorteil beim Rennrutschen - so gibt es nach Scherers Beobachtung etwa die "übervoluminösen Rutscher, die ihre Geschwindigkeit allein durch Masse erreichen". Aber Masse ist eben nicht alles: "Früher waren die Dicksten die Besten, aber inzwischen ist das technisch ausgefeilter", resümiert Nicolai Schneider, Student der Informationstechnik in Esslingen und sechsfacher süddeutscher Meister. So habe sich das Rutschen auf den Schulterblättern und einer Ferse durchgesetzt, dem "magischen Dreieck", wie es Allerdißen nennt.

Erfolgserlebnisse verspricht der Rutschsport auch denjenigen, die vermeintlich unsportlich sind oder wenig trainieren. So hat Schneider beobachtet, "dass auch Leute, die kaum die Treppe zur Rutsche hochkommen, mithalten können". Dass andere Sportarten wesentlich trainingsintensiver sind, weiß der Esslinger Student aus eigener Erfahrung: Wie seine ebenfalls rutschenden Geschwister - die 15-jährige Alina wurde im März deutsche Meisterin, der 17 Jahre alte Marius immerhin Vizemeister - Nicolai Scheider aktiver Schwimmer. "Da steckt schon ein anderes Training dahinter, fürs Rutschen trainiert man vielleicht zwei Wochen lang, fürs Schwimmen jeden Tag", berichtet er.

Die Kraft, die sie beim täglichen Ziehen ihrer Bahnen gewinnen, kommt den Schneider-Geschwistern natürlich auch in der Röhre zugute. Die Leistungsdichte bei den Rennrutschern nehme extrem zu, freut sich Allerdißen. Dennoch weiß er: Bis möglicherweise einmal bei den Olympischen Spielen gerutscht wird, ist es noch ein weiter Weg. Das Nahziel des DRV lautet daher etwas bescheidener: "Erst einmal als 60. Sportart in Niedersachsen amtlich anerkannt zu werden".