Rasanter Rutsch ins neue Sportzeitalter

Von Jörn Petring.
Er war aus Lederstücken zusammengenäht und mit Federn und Tierhaaren ausgestopft. Dass der erste Fußball, den sich einige junge Chinesen in der Zhou-Dynastie (etwa 1000 vor Christus) zum ersten Mal zukickten, irgendwann dazu führen würde, dass Männer wie Jürgen Klinsmann zu Volkshelden werden, hätte damals wohl niemand gedacht.

Und auch heute, 3000 Jahre später, reagieren die meisten nur mit einem Augenzwinkern, wenn sie von den Plänen Rolf Allerdissens hören. Auch er will eine neue Sportart zum Massenphänomen machen: das Rennrutschen.

Das magische Dreieck ist das bewährte Rezept für ordentlich Tempo: Ferse, linkes Schulterblatt, rechtes Schulterblatt. Nur diese Körperteile berühren bei echten Könnern auf der Jagd nach neuen Geschwindigkeitsrekorden die Oberfläche der Wasserrutschen. „Rutschen ist kein Kinderspiel“, weiß Allerdissen. Trotzdem könnte Rennrutschen schon bald zum Breitensport werden, und dann wäre Osnabrück wohl die längste Zeit nur „die Friedenstadt“ gewesen. Allerdissen: „Ich bin glücklich, wenn irgendwann im Bahnhof ein Schild mit der Aufschrift ‚Willkommen in der Rutschenstadt‘ angebracht wird.“ Sogar eine offizielle Definition des Sportes gibt es schon: „Rennrutschen, international auch ‚Speedchuting‘ genannt, wird auf Wasserrutschen durchgeführt, bei denen das Wasser die Rutschfläche hinunterläuft und so die Reibung zwischen der rutschenden Person und der Rutschfläche verringert. Deshalb ist hier die Rutschgeschwindigkeit üblicherweise auch höher als auf anderen Rutschen“, berichtet Allerdissen. Mit durchschnittlich 30, in der Spitze sogar mit 50 Kilometern pro Stunde sausen Rennrutscher durch die Röhren.

Werden in Zukunft Badehosen mit Namen der großen nationalen Rutschhelden zu Verkaufsschlagern, sichern sich Sponsoren die Namensrechte an den modernsten und größten Rutsch-Arenen? Alles nur Spinnerei oder vielleicht irgendwann tatsächlich Realität? Derzeit ist noch nicht abzusehen, wie groß die Wellen letztendlich sein werden, die außerhalb der Wasserrutschen schlagen, wenn Allerdissen und Co. in Zukunft verstärkt für ihren Sport werben. Denn das Rennrutschen hat gerade erst die „Federn- und Tierhaar“-Phase überstanden.

Das geschah vor zwei Wochen mit der Gründung des Deutschen Rennrutsch-Verbandes (DRV). Ein Dutzend Sportler aus NRW, Niedersachsen und Hessen hatte sich da zum DRV zusammengeschlossen. Schon zuvor gab es in ganz Deutschland Rennrutsch-Events. „Der DRV ist nun der erste Ansatz, den Sport zu professionalisieren und eine gemeinsame Stimme für alle Rennrutscher zu schaffen“, meint Allerdissen, Vorsitzender der neuen Vereinigung.

Osnabrück ist in Zukunft Sitz des Verbandes, da Leute wie Rolf Allerdissen, Carsten Bücken und Glenn Heidecker – sie alle sind Pioniere des Rennrutschens – zum ersten Mal im Nettebad aufeinandertrafen. Das war im Sommer 2006, damals hatte das Erlebnisbad zur Stadtmeisterschaft im Rutschen eingeladen. „Das war natürlich nur eine Jux- Veranstaltung. Ich hätte nie gedacht, dass sich hieraus einmal ein ganzer Verband gründen würde“, sagt Bernd Bücker, bei den Stadtwerken zuständig für die Bäder.

Die Sportler rühmen die „Piste“ im Nettebad in höchsten Tönen. „Das ist eine der besten Rutschen in Deutschland, sozusagen das Monaco unter den Rutschstrecken“, lobt Allerdissen die 86 Meter lange Bahn mit ihren markanten Schikanen. Allerdissen muss es wissen. Denn als Vorbereitung zu den deutschen Meisterschaften im Rennrutschen, die am kommenden Samstag in der Ostsee-Therme von Scharbeutz ausgetragen werden, testete der 40- Jährige 20 Rutschen in ganz Deutschland. Rund 14 Kilometer rutschend legte Allerdissen allein in den letzten Monaten zurück. 150 Rutscher werden bei den Meisterschaften am Samstag erwartet. Der DRV hofft, viele neue Mitglieder ins Boot holen zu können.